Dieser Beitrag ist Teil einer dreiteiligen Analyse zur Elektromobilität im DACH-Raum. Nachdem der erste Teil die Ausgangslage und den wachsenden Druck auf europäische Hersteller beleuchtet hat, richten wir im zweiten Teil den Blick über den Tellerrand und erörtern, wie internationale Erfolgsmodelle, insbesondere das Beispiel Norwegen, den Weg in eine zukunftsfähige Elektromobilität weisen. Der internationale Vergleich zeigt, wie gezielte politische Massnahmen und Investitionen den Unterschied machen können. Die Lehren aus Norwegen bieten einen klaren Fahrplan, wie auch Europa den Herausforderungen begegnen kann.
Norwegen: Ein Vorbild in der Elektromobilität
Norwegen gilt als führendes Beispiel für den erfolgreichen Umstieg auf Elektromobilität. 2024 lag der Anteil von E-Autos an den Neuzulassungen bei über 80 %, womit Norwegen weltweit an der Spitze steht. Dieses Ergebnis ist das Resultat einer konsequenten Strategie, die mehrere Elemente vereint: grosszügige Steuererleichterungen für Elektroautos, hohe Abgaben auf Verbrenner, ein flächendeckendes Netz von Schnellladestationen und die Nutzung erneuerbarer Energien, insbesondere der Wasserkraft. Wie ist die Situation im DACH-Raum?
- Finanzielle Anreize und Steuerpolitik: Elektroautos sind in Norwegen von der Mehrwertsteuer (25 %) sowie von Importzöllen befreit, während Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren durch hohe Registrierungs- und CO₂-Abgaben verteuert werden. Diese Massnahmen machen Elektrofahrzeuge nicht nur wettbewerbsfähig, sondern oft sogar günstiger als konventionelle Modelle. Zusätzlich sind E-Autos von Strassenmautgebühren befreit und profitieren von niedrigeren Park- und Fährkosten.
- Infrastruktur und Ladeinfrastruktur: Norwegen verfügt über eines der weltweit dichtesten Netze an Schnellladestationen mit über 6.000 Ladepunkten für die knapp 600.000 registrierten Elektrofahrzeuge. Staatliche Investitionen und eine enge Zusammenarbeit mit privaten Betreibern haben den flächendeckenden Ausbau von Ladeinfrastruktur sichergestellt, sodass auch abgelegene Regionen problemlos versorgt werden können.
- Erneuerbare Energien und Netzkapazitäten: Rund 98 % des norwegischen Stroms stammen aus erneuerbaren Energien, hauptsächlich Wasserkraft. Dadurch wird gewährleistet, dass der Betrieb von Elektrofahrzeugen nicht nur emissionsfrei, sondern auch klimaneutral ist. Die frühzeitige Anpassung der Stromnetze an die steigende Nachfrage nach Lademöglichkeiten trägt zusätzlich zur Stabilität des Systems bei.
Durch diese gezielten Massnahmen hat Norwegen eine Vorreiterrolle in der Elektromobilität eingenommen und zeigt, wie staatliche Anreize, Infrastrukturpolitik und erneuerbare Energien kombiniert werden können, um eine erfolgreiche Verkehrswende zu ermöglichen.
Österreich verfolgt einen pragmatischen Ansatz, die Schweiz eine marktorientierte Strategie
Österreich und die Schweiz verfolgen unterschiedliche Ansätze in der Automobil- und Zulieferindustrie, die sich aus ihren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und politischen Strategien ableiten. Während Österreich eng mit dem deutschen Automobilmarkt verflochten ist und eine progressive Steuerpolitik zur Förderung der Elektromobilität verfolgt, setzt die Schweiz auf marktwirtschaftliche Anreize und technologische Innovation. Beide Länder verfügen über eine starke Zulieferindustrie, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Absatzmärkten. Auch beim Ausbau der Ladeinfrastruktur zeigen sich verschiedene Herangehensweisen.
- Automobilbranche: Österreich setzt auf eine progressive Steuerpolitik, die Elektrofahrzeuge attraktiver macht, beispielsweise durch die Befreiung von der motorbezogenen Versicherungssteuer und eine CO₂-basierte Besteuerung von Verbrennern. Die Schweiz verfolgt dagegen einen marktbasierten Ansatzmit steuerlichen Anreizen, ohne jedoch auf direkte Subventionen zurückzugreifen. Ihr Fokus liegt klar auf Innovationen und Qualität. In beiden Ländern ist indes die Nachfrage nach hochwertigen Elektrofahrzeugen hoch.
- Zulieferindustrie: Die Schweiz verfügt im Gegensatz zu Österreich über keine nennenswerte eigene Fahrzeugproduktion, doch beide Länder haben eine starke Zulieferindustrie. In Österreich erwirtschaften die 20 grössten Zulieferunternehmen rund 26,3 Milliarden Euro Umsatz jährlich, während die Schweizer Zulieferbranche einen Jahresumsatz von etwa 13 Milliarden Franken erzielt. Österreich profitiert dabei von einer engen Anbindung an den deutschen Automobilmarkt und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit seiner Zulieferindustrie durch gezielte Innovationsförderung. Schweizer Firmen sind häufig diversifizierter, bedienen neben der Automobilbranche auch andere Industrien und verfügen über breiter gefächerte Absatzmärkte. Durch technologische Spezialisierung und hohe Qualität gewinnt die Schweizer Zulieferbranche laufend an Bedeutung.
- Ladeinfrastruktur: Österreich setzt auf einen gezielten Ausbau entlang von Verkehrsachsen und touristischen Regionen, während die Schweiz durch ihre hohe Kaufkraft und einen Fokus auf Qualität ein überdurchschnittlich dichtes und modernes Netz geschaffen hat.
Österreich und die Schweiz richten ihre Strategien an ihren spezifischen wirtschaftlichen Strukturen aus, Deutschland steht hingegen weiterhin vor erheblichen Herausforderungen.
Deutschland steht vor komplexen Herausforderungen
Als grösster Automobilstandort in Europa ist Deutschland nicht nur mit dem Wandel der Elektromobilität, sondern auch mit Standortnachteilen, hohen Produktionskosten und einer fragmentierten Infrastruktur konfrontiert. Während der Marktanteil von Elektroautos an den Neuzulassungen 2024 bei rund 18 % lag, bleibt das Wachstum hinter den Erwartungen zurück. Die Gründe dafür sind vielfältig und komplex – deren drei seien hier genannt.
- Produktionskosten: Der grösste Standortnachteil Deutschlands im internationalen Vergleich sind die hohen Kosten, die hauptsächlich auf das hohe Lohnniveau, eine hohe Zahl an Krankheitstagen und die gestiegenen Energiepreise zurückzuführen sind. Es bedarf dringender Massnahmen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
- Ladeinfrastruktur: Mit knapp 100.000 öffentlichen Ladepunkten hinkt Deutschland dem Bedarf hinterher. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist zwar vorangeschritten, aber weiterhin ungleich verteilt. Immerhin haben Wohneigentümer:innen und Mieter:innen seit 2020 aufgrund des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) Anrecht auf eine Wallbox in der Tiefgarage. Doch während in urbanen Zentren immer mehr Parkplätze mit Ladestationen ausgerüstet sind und zunehmend Schnellladehubs entstehen, leiden ländliche Regionen nach wie vor unter einer Unterversorgung. Der Ausbau kommt zwar voran, doch Genehmigungsprozesse und Netzkapazitäten erweisen sich als Bremsfaktoren.
- Industriepolitik: Subventionen für Forschung und Entwicklung sowie Käuferprämien wurden reduziert, was die Dynamik jäh gebremst hat. Die Industrie ruft nach klaren, stabilen Rahmenbedingungen seitens der Politik für eine bessere Planbarkeit, insbesondere in Hinblick auf die gesenkten CO₂-Grenzwerte. Der Marktdruck muss sich sukzessive erhöhen, um einen abrupten Schock zu vermeiden.
Deutschland, als Schwergewicht der Automobilbranche, muss sich seiner Verantwortung stellen. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, muss das Land gezielt in Innovationen investieren und entscheidende Entwicklungsschritte vorantreiben. Es steht viel auf dem Spiel. Schliesslich hängt eine ganze Zulieferindustrie, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz einen erheblichen Anteil zum Bruttoinlandprodukt beiträgt und von der viele Arbeitsplätze abhängen, vom Erfolg Deutschlands ab. Der Blick nach Norwegen zeigt, dass eine entschlossene Politik und klare Zielsetzungen den entscheidenden Unterschied machen können. Teil 3 beleuchtet, welche strategischen Weichenstellungen und konkreten Massnahmen Deutschland treffen sollte, um den Weg für eine erfolgreiche Mobilitätswende zu ebnen.