Was heute schon geht und was noch nicht
Mit der richtigen Technologie werden E-Autos zu mobilen Energiespeichern, die aktiv zur Netzstabilität beitragen können. Das Zauberwort heisst „bidirektionales Laden“: eine Technologie, die es ermöglicht, nicht nur Strom aus dem Netz ins Auto zu laden, sondern bei Bedarf auch wieder zurück ins Netz einzuspeisen. Was ist heute bereits möglich? Wo steht die Technik? Welche Perspektiven ergeben sich daraus?
Im Alltag kennen wir das klassische Ladeszenario: Ein E-Auto wird an eine Wallbox angeschlossen und mit Strom versorgt. Beim bidirektionalen Laden wird dieses Prinzip erweitert. Künftig soll das Fahrzeug, wenn es beispielsweise auf einem Firmenparkplatz oder in der heimischen Garage steht, auch Strom zurück ins Gebäude oder ins öffentliche Stromnetz abgeben. Andere Szenarien wären etwa der Einsatz unterwegs, in einer Forsthütte oder auf einer Open-air-Party, um Geräte zu versorgen oder um als Pannenhilfe für andere Fahrzeuge zu dienen. Dabei unterscheidet man verschiedene Konzepte:
- Vehicle-to-Grid (V2G): Das Fahrzeug speist Energie zurück ins Stromnetz und unterstützt so die Netzstabilität.
- Vehicle-to-Home (V2H): Das E-Auto dient als Backup-Stromquelle, um das Zuhause bei Stromausfällen mit Energie zu versorgen.
- Vehicle-to-Load (V2L): Die Energiereserven eines Elektrofahrzeugs werden genutzt, um elektrische Geräte und Werkzeuge zu versorgen – etwa auf Campingplätzen, Baustellen oder bei Veranstaltungen im Freien.
- Vehicle-to-Vehicle (V2V): Ein Fahrzeug gibt seine Energie in Notfällen an ein anderes weiter.
Streng genommen gilt nur V2G als bidirektionales Laden im eigentlichen Sinn. Energiewirtschaftlich betrachtet ist es das Konzept mit dem grössten systemischen Nutzen.
Wie funktioniert das technisch?
Die technische Umsetzung ist gerade bei V2G anspruchsvoll und setzt ein Zusammenspiel verschiedener Komponenten voraus: 1. Ein Fahrzeug, das für bidirektionales Laden vorbereitet ist. 2. Eine passende bidirektionale Ladestation (DC oder zukünftig AC). 3. Einen Energieversorger, der das Zurückspeisen erlaubt. Fahrzeug, Ladestation und Netzbetreiber müssen dabei kompatibel und kommunikationsfähig sein.
Es gibt zwei Arten des bidirektionalen Ladens:
A. Bidirektionales DC-Laden: Hier wandelt die Ladestation den Wechselstrom aus dem Netz zur Speicherung im Akku in Gleichstrom um – und wieder zurück in Wechselstrom für die Rückspeisung ins Netz. Die Intelligenz liegt also grösstenteils in der Ladestation. Der Vorteil liegt in der relativ geringen Komplexität auf Fahrzeugseite: Es bedarf lediglich einer Softwareanpassung, um Strom nicht nur aufnehmen, sondern auch abgeben zu können. Allerdings sind DC-Ladestationen vergleichsweise teuer und aufwendiger in der Installation.
B. Bidirektionales AC-Laden (zukünftig): Hier muss das Fahrzeug nicht nur wie bisher üblich die Umwandlung des von der Ladestation gelieferten Wechselstroms in Gleichstrom für die Speicherung im Akku, sondern ebenfalls zurück zu netzkonformem Wechselstrom selbst übernehmen. Gerade dieser zweite Schritt setzt aber einen leistungsfähigen Wechselrichter im Fahrzeug voraus. Diese Lösung verspricht eine kostengünstigere Ladeinfrastruktur, denn die Ladestation dient primär als Übermittler der Netzanforderungen und als Schalter. Allerdings erfordert sie eine komplexere Fahrzeugarchitektur, weshalb diese Technik in Serienfahrzeugen bislang kaum zum Einsatz kommt. Einige OEMs treiben die Entwicklung jedoch bereits voran – ein Beispiel dafür ist der neue Renault R5.
Normen und Kommunikation
Für die reibungslose Kommunikation zwischen Fahrzeug, Ladestation und Netz braucht es Normen. Denn es ist entscheidend, dass die Rückspeisung ins Netz normgerecht erfolgt, insbesondere in Bezug auf Netzqualität: Der Strom muss die richtige Spannungshöhe, Frequenz und eine saubere Sinuskurve haben – keine Störungen, keine Frequenzabweichungen. Hierbei spielt ISO 15118-20, ein Protokoll, das die Datenübertragung zwischen Fahrzeug und Ladestation regelt, eine wichtige Rolle. Hinzu kommen technische Vorgaben der IEC 61851-Reihe, welche die grundlegenden Anforderungen für das Laden von Elektrofahrzeugen beschreibt. Die Norm IEC61851-1 (in Entwicklung) beschreibt, was beim bidirektionalen AC-Laden berücksichtigt werden muss; die Norm IEC61851-23 behandelt das bidirektionale DC-Laden.
Welche Autos und Wallboxen können bidirektional laden?
Erste Anwendungsbeispiele existieren bereits. So etwa das V2X-Pilotprojekt des Carsharing-Anbieters Mobility in der Schweiz, das 50 Honda-e-Fahrzeuge mit bidirektionalen DC-Ladestationen kombinierte. Auch Volkswagen (ID.3, ID.4, ID.5) oder Kia (EV6) bereiten ihre Fahrzeuge zunehmend auf diese Technologie vor. Renault bringt mit dem R5 als Erster ein Serienfahrzeug auf den Markt, das bidirektional mit Wechselstrom lädt.
Im Bereich der Ladeinfrastruktur zeichnen sich unterschiedliche Ansätze ab: Während bidirektionale DC-Systeme – darunter solche mit integriertem Heimspeicher – bereits vereinzelt erhältlich sind, steckt das bidirektionale AC-Laden noch in der Entwicklungsphase. Erste marktreife Lösungen stehen jedoch kurz vor der Einführung. Die Kosten für bidirektionale DC-Ladestationen belaufen sich derzeit auf 6.000 bis 13.000 Euro. Deutlich günstiger werden bidirektionale AC-Stationen sein, die zum Marktstart voraussichtlich bei rund 2.000 Euro liegen werden – mit sinkender Tendenz. Dass sich bidirektionales AC-Laden zunehmend konkretisiert, zeigte sich bereits vor einem Jahr auf der Power2Drive, wo Juice den ersten Prototypen einer bidirektionalen AC-Ladestation vorstellte und damit einen Ausblick auf das Potenzial dieser Technologie gab.
Warum ist bidirektionales Laden überhaupt so relevant?
Mit der wachsenden Zahl dezentraler Energiequellen wie Photovoltaikanlagen steigt auch der Bedarf an flexiblen Stromspeichern. Elektrofahrzeuge könnten diese Rolle übernehmen – insbesondere, wenn sie ohnehin viele Stunden des Tages ungenutzt bleiben. Ein vernetztes Quartier mit bidirektional ladenden E-Autos könnte als dezentrales Stromspeicher-Netz fungieren – Netzschwankungen ausgleichen, Lastspitzen reduzieren und sogar dazu beitragen, den Ausbau teurer Netzinfrastruktur zu verringern. Zudem eröffnen sich wirtschaftliche Chancen: Wer Strom zu günstigen Zeiten lädt und zu teuren Zeiten verkauft, kann von den Preisschwankungen am Strommarkt profitieren.
Bidirektionale Flotten in der Praxis
Für Betreiber von Carsharing-Flotten, Unternehmensfuhrparks oder Wohnbaugenossenschaften bietet sich ein enormes Potenzial. Elektroautos mit langen Standzeiten (z. B. nachts oder während der Arbeitszeit) könnten als virtuelle Kraftwerke agieren. Besonders attraktiv: Wenn Fahrzeuge tagsüber mit Solarstrom geladen werden und abends Energie zurück ins Netz gespeist wird.
Herausforderungen
So vielversprechend die Technologie ist, so deutlich zeigen sich derzeit noch ihre Grenzen. Vor allem das bidirektionale AC-Laden steckt technisch noch in den Kinderschuhen: Nur wenige Fahrzeuge sind bislang mit der dafür nötigen Leistungselektronik ausgestattet, und serientaugliche Lösungen sind selten. Hinzu kommen regulatorische Hürden – etwa in der Schweiz, wo die fehlende Strommarktliberalisierung bislang eine wirtschaftlich attraktive Rückspeisung verhindert. Darüber hinaus befinden sich viele relevante Normen noch im Entwurfsstadium, und praxistaugliche Geschäftsmodelle für die Rückspeisung sind kaum etabliert.
Ausblick
Bidirektionales Laden hat das Potenzial, die Rolle des Autos grundlegend zu verändern – vom stillen Stromabnehmer zum aktiven Element in einem intelligenten Energiesystem. Dabei liegt das Potenzial langfristig klar beim bidirektionalen AC-Laden. Die Technik ist in der Theorie einfach, die Kosten gering, und das Netz könnte massiv profitieren.
Ab etwa 2027 wird das bidirektionale Laden in der Schweiz allmählich vermarktet werden. Bis es allerdings massentauglich ist, ist noch ein weiter Weg, der über Normierung, sinkende Hardwarekosten und passende politische Rahmenbedingungen führt. In Deutschland und Frankreich, wo es bereits eine Strommarktliberalisierung gibt, ist das im Prinzip schon heute möglich.
Bidirektionales Laden ist ein zentraler Baustein der Energiewende. Es lohnt sich, die Entwicklung im Blick zu behalten – für Fahrzeughersteller, Netzbetreiber, Energieversorger, Flottenbetreiber und nicht zuletzt für alle, die ein E-Auto besitzen oder planen, eines zu kaufen.
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